Hypnose in Marokko

Hypnose in Marokko

„Keif al Hal?“ oder „Allah wird’s richten!“

TRANCEABENTEUER IN MAROKKO Ein Kurstagebuch von Ronnie Amsler mit Erich Zulauf

Marrakesch, 11. Oktober 2001

Da sitzen wir nun – Erich Zulauf und ich – auf der Terrasse des Café de France, hoch über der Djemàa el Fna in Marrakesch, dem verrücktesten Platz Afrikas, schlürfen ein Glas des köstlichen marokkanischen Minze-Thées und planen den morgigen Tag. Ein Projekt mehr, das bei einem guten Essen und ein paar Gläsern Wein geboren wurde – und nun Realität geworden ist. Wir sind vor zwei Stunden gelandet, und morgen beginnt unser fünftägiger Kurs.

Unter uns auf dem riesigen asphaltierten Platz ohne Straßen und ohne Trottoirs suchen Autos ihren Weg zwischen Musikanten, Händlern, Zauberern, Schlangenbeschwörern, Märchenerzählern, Wahrsagern, Akrobaten, Quack- salbern, Touristen. Straßen entstehen spontan dort, wo gerade Platz ist. Straßen der Gewohnheiten. Straßen abseits der Gewohnheiten. Könnte das eine Metapher für unseren Kurs sein? Überhaupt – diese Stadt bietet uns viele Metaphern an: das verwirrende Labyrinth von Marrakesch als Abbild des Unbewussten. Die

ganze Stadt ist ein Work in Progress, ein scheinbares Chaos, das sich stets aufs Neue organisiert.

Und es ist eine Zeitreise in eine andere Epoche: Marrakesch – eine Stadt aus rosa Lehm gebaut, mit ihren dicken Stadtmauern inmitten eines riesigen Palmenhains, ist zumindest von der Architektur her tiefstes Mittelalter. Wie lange das so bleiben wird, weiß niemand. Die Vorstellung von Mac Donald’s, Pizza-Hut und anderen weltweit anzutreffenden Geschäfteketten hier in der Medina ist ein Gräuel. Immerhin versucht Mohammed VI, der junge König, der von seinen Untertanen liebevoll M 6 genannt wird, das Land zu modernisieren. Im Moment ist davon allerdings noch nichts zu sehen. Wir sind glücklich, uns nach drei Stunden Flug in einer völlig anderen Welt und anderen Zeit wiederzufinden.

Marokko hat immer schon Künstler, Musiker und Abenteurer fasziniert – Paul Bowles, die Rolling Stones, Jimi Hendrix, Led Zeppelin, William Burroughs. „Die Stimmen von Marrakesch“, ein dünnes, stimmungsvolles Buch von Elias Canetti, hat die besondere Stimmung in dieser Stadt treffend eingefangen: Metaphern als Realität, Realität als Metapher.

Die Geräusche und Düfte lassen mich abtauchen in Erinnerungen an frühere Marokkoreisen von vor bald zwanzig Jahren mit Yma: lange Autofahrten durchs Atlasgebirge, Besuche bei den Hommes Bleus im Nomadenzelt, derber Berber- Punk mit übersteuerten Gitarren, hohen schneidenden Stimmen und Perkussionsgerassel, das einen unglaublichen Drive erzeugt, auf dem Marktplatz in Ouarzazate.

Die Trommeln werden lauter und holen mich zurück in die Gegenwart. Flöten mit ihrem penetranten Sound spielen endlos mäandernde Melodien. Die Sonne zieht sich zurück, es wird langsam dunkel. Auf dem Platz glühen Feuerstellen und setzen neue Farbakzente. Düfte und Rauch aus unzähligen Brattöpfen füllen die Abendluft. Motorräder knattern vorbei. Auf jedem sitzen mindestens zwei Marrakshi in ihren Djellabas, den für Marokko typischen Kapuzenmänteln, und umklammern sich wie Äffchen.

Erich und ich sind schon in Trance, bevor der Kurs richtig angefangen hat. Wohin wird das noch führen? In einem Land, wo die offizielle Begrüßung „Keif al Hal“ heißt, auf deutsch: „Wie ist deine Trance?“1 sind wir am richtigen Ort. Trance und Hypnose liegen uns am Herzen. Mehr und mehr setzt sich in der Auseinan- dersetzung mit schnellen Veränderungen die Erkenntnis durch, dass

unbewusstes Erkennen von Mustern und Gesetzmäßigkeiten eine der langfristig erfolgreichsten, vitalsten Lernstrategien ist. Das möchten wir hier an unge- wohntem Ort, weg vom Alltag erleben, intensivieren und nach Haus zurückneh- men. Wir haben uns viel vorgenommen.

… Die Wahrnehmung für hypnotische Konstellationen des Alltags schärfen … Trance als alltägliche und natürliche Lebensform erleben … unbewusste Möglichkeiten im Austausch mit einer fremden Kultur auf ganz neue Art wahrnehmen … bewusstes und unbewusstes Lernen … der Sinn fürs Wesentliche … Gesetzmäßigkeiten und Muster intuitiv erfassen …

Im Vordergrund steht das Erleben, nicht das Theoretisieren. Im Unterschied zu unseren Kursen in der Schweiz geben wir hier keine Kursunterlagen ab.
Die dreizehn Teilnehmer, vom NLP-Neuling bis zum NLP-Trainer, bringen unter- schiedliches Vorwissen mit und können auch auf ganz unterschiedliche Art vom Kurs profitieren. Zwei Ehepaare nehmen am Kurs teil, auch einige Leute aus dem Businessbereich. Das freut uns, dass auch in diesen Kreisen die Nützlichkeit der Beschäftigung mit Trancen erkannt wurde. Yma und Juna, meine Frau und meine Tochter, sind auch mit nach Marrakesch gekommen.

Erich und ich beschließen, für unsere Kursteilnehmer Trommeln einzukaufen. Schon beginnt die Feilscherei, als wir bei Ahmed und Ibrahim Darraboukas Rahmentrommeln und Karkabas2 kaufen.

Mofa, Esel, Auto – keine Gasse zu schmal, als dass sich nicht noch ein Fahrzeug an den Fußgängern vorbei hindurchquetscht. Es ist stockdunkel geworden, wir suchen den Nachhauseweg in unser Riad. Trance! Wir sind schon da!

Früh um fünf Uhr morgens spürt man plötzlich eine unheimliche Aufregung in der Stadt, ein unbestimmtes Vibrieren liegt in der Luft. Vereinzelt Hundegekläff, das Schreien des Hahns oder das Blöken einer Ziege – und dann beginnt urplötzlich in unmittelbarer Nähe der erste Muezzin von seiner Moschee herab mit

kraftvoller Stimme durchs Megaphon seine langgezogenen Rufe zum Mor- gengebet: „Allahu akbar ua muhammad razul allah …“ Allmählich stimmen weitere Muezzine aus den umliegenden Quartieren in seinen Ruf ein. Es entsteht eine ganz eigenwillige Musik, in die sich die Geräusche der erwachenden Stadt mischen und die sich immer weiter ausbreitet.

Drei Stunden später. Die Sonne ist über dem Atlas aufgegangen und brennt bereits heiß herunter. Die zwei Innenhöfe unseres Riads sind angenehm schattig und kühl mit einem kleinen Springbrunnen, einem Swimmingpool, Bougain- vileen, Orange- und Olivenbäumen. Der deutsche Patron und seine Frau haben einen ehemaligen Stadtpalast mit viel Geschmack und Liebe zum Detail in ein kleines, aber feines Hotel umfunktioniert. Wir befinden uns in einer Oase mitten in der Medina von Marrakesch.

Wie jeden Tag halten wir unsere Kurs-Sessions von 09.30-13.00 und 14.30- 17.00 ab. Jeder, der ankommt, nimmt sich eine Trommel, und schnell hat die Gruppe einen Rhythmus gefunden. Das klappt überraschend gut. Einzig der Pagagei äußert sich etwas rüpelhaft mit schrillen Schreien zu unserem Trommeln.

Heute ist das Thema „Stimme und die eigene Trance finden“. Aus der peripheren Wahrnehmung heraus … Geräusche und Gedanken lernen einzubeziehen … das Rüstzeug für Selbsthypnose entwickeln … den passenden Rhythmus, die passende Bewegung finden für hier und jetzt … jenseits bewusster Wahrnehmung dem persönlichen Trancemodus auf die Spur kommen … Worauf sprichst du an? … Wie sprichst du mit deinem Unbewussten? Direkt, per Aufforderung oder in Metaphern? In Andeutungen, indirekt à la Milton Erickson? Gibt es verschiedene Unbewusste, mit denen man je in einer anderen Sprache spricht? Was und wie musst du hören? Wie hast du’s gern, dass man zu dir spricht, um angenehme Trancen zu erleben? Du hast schließlich die Wahl – take your chance, pick your trance.

Die bereits Trance-Versierten übernehmen bei den Gruppenübungen die Führung, und die Hypnose-Frischlinge arbeiten sich schnell ein. Die Atmosphäre im Riad trägt wesentlich dazu bei, dass das so leicht und selbstverständlich geht.

Erich demonstriert seine erste „One-For-All“-Trance mit einem Teilnehmer, der die Gelegenheit ergreift, um ein individuelles Thema zu bearbeiten. Erichs virtuoser Gebrauch der Milton-Sprachmuster laden auch Zuschauer dazu ein, das eigene Unbewusste ansprechen zu lassen. Sie nehmen das Angebot an, mitzugehen in der „One-For-All“-Trance. Andere wollen Erich auf die Finger und Lippen schauen, um einem Meister seines Fachs in Aktion zuzuschauen.

Mit Trommeln haben wir begonnen, mit Trommeln beschließen wir – wie auch an den kommenden Tagen – die Lernsession. Aber nicht ohne vorher noch eine „Hausaufgabe“ aufgegeben zu haben: Lass dich heute Abend von etwas unmittelbar ansprechen, berühren. Was springt ins Auge? Was bedeutet das für dich? Die Stadt als Bazaar der Metaphern und Zeichen, Semiotik live!

Am Abend geht’s wieder ab in den Souk, ins Labyrinth. Die schmale Straße im Souk – jahrhundertelang einfach ein staubiger Pfad – wird gepflastert. Scheinbar unkoordiniert platzieren ein paar Handwerker gedankenverloren, aber mit einer unglaublichen Geschicklichkeit Plättchen für Plättchen an seinen Platz, jeder von seiner Ecke aus. Während weiterhin Fußgänger, Esel, Mofas und Autos unbekümmert ihren Weg durch die enge Gasse suchen, wächst das Werk langsam zusammen – Plättchen für Plättchen.

Erich und ich gehen noch bei Ahmed und Mustafa, die uns die Trommeln verkauft haben, vorbei und laden sie ein, morgen zu uns ins Riad zu kommen. Sie sollen uns eine Trommellektion erteilen. Wir vereinbaren, dass sie um vier Uhr kommen, und wie in arabischen Ländern üblich, werden Verabredungen mit einem „Insch’ Allah“ quittiert. Erich und ich fragen uns etwas besorgt, ob das wohl heißt „so Gott will“. Ich übersetze dann doch lieber etwas optimistischer mit „Allah wird’s richten!“

Marrakesch, 13. Oktober 2001

Von der Dachterrasse unseres Riads hat man eine wunderbare Fernsicht über die Medina von Marrakesch bis zu den Bergen des Hohen Atlas. Aber man sieht auch unmittelbar in die Nachbar-Riads hinein. Einige sind schön renoviert, andere Ruinen, die aber zum Teil trotzdem bewohnt sind. Wieder andere sind Baustellen, an denen meistens nicht mehr als zwei, drei Arbeiter in

gemächlichem Rhythmus arbeiten. Auf den Trümmern und dem Grundriss alter Häuser entstehen hier wieder neue Riads, wohl ähnlich wie das, in dem wir woh- nen und unseren Kurs durchführen. Auf den Fundamenten des Alten entsteht etwas Neues. Toll! Auch das passt wunderbar zu Marrakesch und unserem Kurs als Work in Progress.

Ein weiterer Trancetag, an dem wir uns, aufbauend auf der Hausaufgabe vom Vorabend, mit Geschichten, Metaphern und hypnotischen Sprachmustern und der Veränderung von Denkmustern beschäftigen. Der Papagei hat sich an uns gewöhnt und Gefallen an uns gefunden. In schönstem Deutsch streut er seine Meinungsäußerungen, Fragen und Rufe ein: „Hallo!“, „Wie geht’s?“ – oft in erstaunlich passenden Momenten. Wir fühlen uns wohl in unserer „Hypnoase“.

Am Nachmittag um vier Uhr erwarten wir unsere beiden Trommler, die sich ankündigt haben, uns eine Trommellektion zu geben – „Insch’ Allah!“ Um vier Uhr ist von ihnen weit und breit nichts zu sehen. Auch kurz vor fünf sind sie noch nicht da. Gerade als wir aufgegeben haben, weiter mit ihnen zu rechnen, kommen sie so pünktlich, wie eben Allahs Trommler kommen, und legen los. Und wie! Dem Papagei windet es fast die Federn weg: Allah hat’s gerichtet. Hab Dank, Allah!

Marrakesch, 14. Oktober 2001

Heute Abend ist Gnawa-Night. Darauf habe ich mich schon lange gefreut. Nach einem weiteren intensiven „Alltrancetag“, der dem Thema Gesundheit gewidmet ist, kommen am Abend vier Gnawa-Musiker zu uns ins Riad und lassen uns ihre Form von Trance pur und heftig erleben.

Die Gnawis, eine religöse Bruderschaft, sind bekannt für ihre serenen und heilenden „Leelas“ – Nächte voller Musik und Trancetanz. Ursprünglich aus
Ghana und Mali zugewandert, spielen sie eine sehr perkussive Musik. Angetrieben wird sie vom Sintir, einer primitiven Basslaute mit drei Saiten und einem fellüberspannten Resonanzkörper, auf dem der Sintirspieler zugleich mit dem Anschlag der Saite den Rhythmus schlägt, was zu einem wohklingenden subsonaren Vibrieren führt. Dazu die metallisch-rhythmischen Karkabas der Sänger und die vollen, kehligen Stimmen, die raffiniert ineinander verschachtelte Melodiebögen, sogennannte „Rihs“ singen.

Die Gnawis tragen farbenfrohe Trachten und mit Kaurimuscheln bestickte Mützen mit einer langen Kordel, die sich mit entsprechendem rhythmischen Rotieren des Kopfes dreht wie ein Propeller und den Tänzer voll abheben lässt.
Die Gnawis verstehen sich als Heiler, und die meisten Gnawi-Zeremonien werden abgehalten, um Geister zu beschwichtigen. Gemäß den Gnawis entstehen psychische und physische Krankheiten, wenn jemand einen Jinn, einen Geist, beleidigt hat. Um den Kranken heilen zu können, muss man zunächst herausfinden, um was für einen Geist es sich handelt. Dazu spielen sie lange Musikstücke mit sich abwechselnden Rihs, bis der Geist von einem ganz speziellen Rih angesprochen ist. Der Patient fällt sofort, wenn er diese Melodie hört, in eine tiefe Trance. Wenn der Pechvogel, der unwissentlich einen Jinn verärgert hatte, weiß, um welchen Geist es sich handelt, dann kann er sich durch eine Pilgerfahrt oder eine Opfergabe mit ihm in Zukunft arrangieren und ihn als seinen Verbündeten gewinnen.

Die Leela beginnt mit dem Dröhnen der Thola, einer großen, sehr lauten Trommel, die kraftvoll in unserem Innenhof hallt. Die vier Gnawis legen gleich voll los mit packenden Rhythmen, so dass niemand mehr still sitzen kann. Der jüngste der vier beeindruckt uns durch mannshohe Luftsprünge aus dem Stand heraus. Wenn das den Jinns nicht imponiert? Wer von uns durch welche rhythmisch-melodische Figur angesprochen worden ist, welche Geister geweckt und domestiziert wurden oder sich in Zukunft als Helfer entpuppen werden, weiß ich nicht so genau. Auf jeden Fall: Wir sind begeistert.

Ein richtiges Ritual zum Geisteraustreiben kann bis zu sieben Tage dauern, und die Heilerfolge sind, wie oft bei schamanistischen Heilern, erwiesenermaßen groß. Wir begnügen uns hier mit der „Light“-Version des Geisteraustreibens, aber auch die hat ihre Wirkung.

Was solche Erlebnisse so faszinierend macht, ist das Wissen um die Vielfalt wirksamer Veränderungsmodelle, die oft vordergründig überhaupt nichts miteinander zu tun haben, und von denen nicht wenige uns im ersten Moment wie blanker Unsinn vorkommen mögen. Und doch ist es eine Tatsache, dass die unterschiedlichsten Heilansätze ihre Erfolge, aber auch Misserfolge vorzuweisen haben. Was ist wohl der gemeinsame Nenner von animistischen Heilverfahren, Hundetherapeuten, Tagebuchschreiben, therapeutischen Computerprogrammen, Kinesiologie, Familienaufstellungen, NLP und vielem anderen? Letztlich sind sie alle kraftvolle Metaphern. Die Suche nach dem gemeinsamen Nenner der Unterschiede, die einen Unterschied machen, wird uns sicher weiterhin beschäftigen …

Marrakesch, 15. Oktober 2001

Heute haben wir keinen Kurs. Wir beschließen, einen Ausflug ins Atlasgebirge zu machen. Mit zwei Geländefahrzeugen, von denen das eine ständig Pannen hat, fahren wir ins Ourikatal und kraxeln zu einem Wasserfall hoch. Das Naturerlebnis tut allen gut.

Wir hören von Heilern weiter oben im Tal und merken uns eine Begegnung mit ihnen für einen späteren Kurs vor.

Am Abend gibt es Besuch von einem Deutschen, der schon seit Jahrzehnten in Marrakesch lebt. Wir erfahren dabei einiges über die Stimmung in einem arabischen Land nach dem 11. September. Vor unserer Abreise waren einige wohlmeinende Freunde besorgt darüber gewesen, dass wir uns nach Marokko wagten. Für mich gab es zu dem Zeitpunkt wohl keinen sichereren Platz als ein arabisches Land: Terroristische Anschläge waren hier wohl zuletzt zu erwarten. Der Deutsche wusste auch in Marrakesch von fundamentalistisch-fanatischen Kreisen. Aber die Grundstimmung in Marokko sei äußerst pragmatisch, meinte er – man wolle sich ja nicht den Tourismus und die Zukunftschancen vermiesen. Zudem hat Marokko seit Jahrhunderten eine Tradition von Toleranz, die Juden und Araber im gleichen Land friedlich zusammenleben lässt.

Marrakesch, 16. Oktober 2001

„Keif al Hal?“ – In welcher Trance bist du heute? Wir sind zurück im Riad Noga, in unserer vertrauten Hypnoase. Der Papagei jubiliert – auf deutsch. Die Hotelangestellten trommeln mittlerweile auch schon mit. Heute erforschen wir unterschiedliche Trancephasen: Inkubation, Bearbeitung, Integration und Trancephänomene.

Jeder kann in eine Trance gehen.
Jeder kann Veränderung vollziehen.
Zu jedem Problem gibt es eine Lösung.
Alles, was man zu einer Veränderung braucht, ist bereits vorhanden. Wir können hier zusammen einen ersten Schritt finden.

Das sind nützliche Vorannahmen, von denen wir ausgehen, indem wir eine wichtige Funktionsart des Unbewussten nutzen: die der Gleichzeitigkeit. Mit Hypnose verbünden wir uns somit mit den autonomen Prozessen des Unbewuss- ten, um erwünschte neue Verhalten und Zustände mit den Dimensionen der Intuition zu verflechten, damit sie selbstverständlich, automatisch in der Zu- kunft wirksam werden.

Eine andere Funktionsweise des Unbewussten ist die der Ganzheitsorientierung. Ein menschlicher Organismus hat immer einen Sinn für seine Ganzheit, ob wir bewusst viel davon wissen oder nicht. Dieser Sinn für Ganzheit kann sich äußern durch Gefühle, Bilder, Orientierung im Raum, Positionierung unter anderen Menschen, Rhythmus etc. Lernen wir nun mehr über die Qualitäten des Sinnes für seine Ganzheit eines Individuums, können wir in unseren Anregungen wirksamer werden. Es wird uns häufig möglich, mit traumwandlerischer Sicherheit eine passende Tonalität oder einen passenden Rhythmus der Stimme oder Be- wegung mit dem Körper vorzugeben, um so die Muster des Gegenübers optimal zu pacen und den Anregungen somit auch höchste Wirksamkeit verleihen.

Das Unbewusste hat zudem die Fähigkeit, Gegensätze konfliktfrei nebenein- ander leben zu lassen. Man kann gleichzeitig einverstanden sein und widerspre- chen. Was immer das Muster ist – das Gegenteil trifft ebenfalls zu. Darauf aufzubauen führt zu mehr Toleranz, Gelassenheit, psychischer und physischer Gesundheit und ganz neuen Einsichten und Lösungen. Der Visual Squash ist wohl die ultimative hypnotische Technik.

Wer jemals total verknallt war, kennt diese Form von Trance in Reinkultur, in der Gegensätze verschmelzen, wie das ein Sufidichter besingt: „Du bist mein Schmerz und seine Heilung, Grund für meine Freude und Ursache meiner Probleme.“

Die gleichen Grundsätze, die für die Evolution gelten, sind auch die Prinzipien, nach denen das Unbewusste lernt und sich entwickelt. Das Unbewusste ist etwas absolut Natürliches wie ein Regenwald, ein Ökosystem.

„Trance ist der Zustand, wo du Identität konstruierst und auch loslässt. Einige Trancen dienen dazu, Identität zu transformieren und durch ein Ritual zu bekräftigen. Identität ist etwas Organisches, nichts Stabiles, etwas das sich ständig verändert, das zerfällt und wieder aufgebaut werden muss.“ Stephen Gilligan

Erichs One-For-All-Trancen entwickeln sich zu Highlights des Kurses. Man kommt sich vor wie auf einem Lehrseminar mit Milton Erickson – Arm-Levitationen à go go –, und erlebt dank Erichs Vielseitigkeit und Erfahrung immer wieder überraschende Wendungen in maßgeschneiderten Trance-Induktionen und Utilisationen sowie spannende Fallgeschichten aus seiner bald zwanzigjährigen Praxis als Erich’sonscher (sic!) Hypnotherapeut.

Ob wohl dein Unbewusstes deinen Arm sich willentlich bewegen lässt? Oder ob dein Bewusstein die Bewegeung initiiert und letztlich auch nicht weiß, woher der Impuls dazu kommt … dass er sich ganz sachte, behutsam und kaum merklich beginnt, von deinem Schenkel zu lösen … früher oder später oder jetzt …

Auch die All-For-One-Gruppeninduktionen, bei denen jeder Teilnehmer eine andere Aufgabe hat, gehen von Tag zu Tag besser. Mit dem nötigen, sich im Kurs entwickelnden Methodenrepertoire gibt es immer einen nächsten Schritt. Nicht für jeden sind die gleichen Elemente relevant.

Hast du eine Logik, in Trance zu gehen, rascher oder langsamer? … Magst du Veränderung in der Trance? … Glaubst du auch, dass du kannst einer Vielzahl von Möglichkeiten begegnen? … Glaubst du auch, dass du hier erste Schritte einleiten kannst? … Du glaubst an Trance, Veränderung, Vielfalt der Möglichkeiten in jedem Moment der Trance … wir sind neugierig, ob das Unbewusste schon bereit ist, die nötigen Veränderungen einzuleiten, diejenigen, die heute möglich sind …

Etwas ganz Wichtiges, das jetzt noch ansteht, ist der Transfer des Erlebten und Gelernten in den Alltag – von den Alltrancetagen zurück zu den Alltagstrancen. Dazu gibt es auch eine Hausaufgabe, nämlich im Souk einen Anker für wichtigste Erfahrung zu kaufen, die man im Alltag gegenwärtig haben möchte. Und dabei mit dem Verkäufer einen sensationell guten Preis auszuhandeln, denn auch richtig zu feilschen haben wir in dieser Woche gelernt.

Wieder sitzen Erich und ich am zweitletzten Abend auf der Terrasse des Café de France, sinnieren über den Kurs und schmieden neue Pläne. Unser indirekter, hypnotischer Unterrichtsstil macht sich bezahlt. Die Teilnehmer sind erstaunt und erfreut über ihre Fortschritte, und einige haben in der Tat sehr tiefgreifende Veränderungen gemacht, was uns eMails und Briefe in den Wochen nach dem Kurs noch einmal bestätigen werden, nachdem die Teilnehmer die Nagelprobe im Alltag bestanden haben.

Beim Sich-Verlieren im Souk haben wir interessante neue Geschäfte entdeckt, insbesondere einen Musikladen mit wunderschönen Ouds4, Sintirs, Daraboukas. Nächstes Jahr werde ich mich hier mit Musikinstrumenten eindecken. Wenn ich ankündige, nächstes Jahr wiederzukommen, wird das jeweils mit einem eilfertigen „Insch’ Allah“ quittiert, als ob man sich versündigen würde, wenn man zu selbstsicher auf die Zukunft setzt. Noch nie was von Future Pacing gehört?

Auf dem Weg ins Riad zurück wird uns bewusst: Die Straße wurde innerhalb einer Woche fertig gepflastert. Wir beschreiten einen neuen Pfad.

Marrakesch, 17. Oktober 2001

Am letzten Kurstag werden vor allem Nonverbales und Zeitformen geübt. Dazu werden die Weichen gestellt für die Zukunft. Es gilt Abschied zu nehmen von alten, unliebsamen Verhaltensmustern und nicht mehr Gewünschtes auch entsprechend zu verankern. Das übernehmen die Kollegen in eindrücklichen All- For-One-Trancen, wobei das Alte, Unliebsame mit expressivem Jammer und schluchzenden Klagelauten begleitet wird wie ein Negerbegräbnis in New Orleans. Umgekehrt wird die neue Richtung, in die es in der Zukunft gehen soll, mit quicklebendigen, beseelten Stimmen gefeiert. Hallelujah!

Auch spannende One-For-All-Momente und das Einbeziehen der im Souk gefundenen Anker runden den Kurstag ab.

 

Dr. Erich Zulauf

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