Ein Jongleur der Sprache

Ob Schlafstörungen, Süchte oder chronische Schmerzen:
Der Hypnotherapeut nutzt die Sprache, um den Verstand zu umschiffen und das Unbewusste zu berühren.

Text Miryam Azer

Der Hypnotiseur holt eine Person aus dem Publikum zu sich auf die Bühne und redet mit inten- sivem Blick auf sie ein. Nach einem Fingerschnippen folgt sie scheinbar willenlos seinen Kommandos. Der Hypnotiseur fordert sie auf, lustige oder komische Dinge zu tun, um das Publikum zu unterhalten. Genau darin liegt laut Erich Zulauf der grosse Unterschied zur therapeutisch genutzten Hypnose, der sogenannten Hypnotherapie: «Ich möchte meinen Klienten nichts Fremdes aufdrücken, sondern sie in eine Balance und zu sich selbst bringen.»

Die erste Klientin an diesem Tag sitzt bereits im Sessel. Sie knüpft an das Thema ihrer letzten Sitzung an und erklärt, was sie seither beschäftigte. Erich Zulauf hört zu, fragt nach, macht zur Auflockerung einen kleinen Witz. Plötzlich rückt er näher, ergreift das Handgelenk des auf der Lehne aufgestützten Arms seiner Klientin und lässt sie in die Hypnose eintauchen mit den Worten: «Erlaube dir, weiterzufahren, die Ruhe, den Frieden und die Weite zu spüren, zu hören und zu sehen …» Seine Sätze werden länger und länger, verschachtelter und unverständlicher. Er singt das S, rollt das R und zieht das M in die Länge. Oft wiederholt er die Worte «mehr und mehr», «schlicht und einfach», «hier und jetzt» sowie wichtige Ausdrücke aus dem Vorgespräch.

Ruhig sitzt er da, unterstreicht seine Begriffe mit Bewe- gungen seiner freien Hand. Dabei beobachtet er das Gesicht seiner Klientin, die Bewegung ihres Brustkorbs. Ihre Mimik zeigt unterschiedliche Gefühle und entspannt sich je länger, je mehr. Manchmal blitzt ein Lächeln auf, manchmal fliessen Tränen über ihre Wangen. Ihr Atem wird langsamer und tiefer.

Den Gefühlswelten auf der Spur

Umgangssprachlich erklärt Erich Zulauf die Hypnose so: «Sie lockert den Verstand auf und setzt innere Gewohnheiten und Konstellationen neu zusammen.» Während der Hypnose nimmt das Unbewusste Anregungen besser auf als im Wachzustand, in dem der Mensch unter der vollen Regie des Verstandes steht. Per Definition ist das Unbewusste jener Bereich der menschlichen Psyche, der dem Bewusstsein nicht direkt zugänglich ist. Es vereint die Erinnerungen, Eindrücke und Einstellungen eines Menschen. Und es enthält Impulse, die Angst auslösen und deshalb aus dem Bewusstsein verdrängt wurden, jedoch weiter wirken und sich als Krankheitssymptome ausdrücken können.

Im Gespräch, dem ersten Teil einer Sitzung, schält Erich Zulauf durch Fragen, Beobachten und Mitempfinden die Denkmuster und Gefühlswelten seiner Klienten heraus. Er animiert sie dazu, schwierige Situationen aus ungewohnten Blickwinkeln zu betrachten. Die gewonnenen Informationen baut er in die Hypnose ein. Seine Anregungen, verbal und akzentuiert, sind entscheidend: «Dadurch fühlt sich der Klient auf eine tiefe Art verstanden, was besonders überzeugend auf das Unbewusste wirkt.» Denn es reagiere vor allem auf das Nonverbale und Bildhafte der hypnotischen Sprache, die sehr melodiös klingt. Der Hypnotherapeut nutzt sie bereits während des Gesprächs, wenn auch viel dosierter. «Ich jongliere mit der Sprache. Ich rede in einem stimmig scheinenden Fluss, der für den Verstand keinen Sinn ergibt, und betone darin die für den jeweiligen Klienten relevanten Ausdrücke.»

Nach 25 Minuten holt er seine Klientin aus der Hypnose zurück: «Und so darfst du, nach einem Moment oder zweien, wach werden, zurückkommen und schliesslich die Augen öffnen.» Erich Zulauf lässt das Handgelenk seiner Klientin los und rutscht mit seinem Stuhl etwas nach hinten. Sie öffnet die Augen, reibt sich das Gesicht, streckt sich, setzt sich aufrechter hin, wirkt entspannt, erfrischt und zufrieden. Es bedarf keiner weiteren Worte.

Das Unbewusste lässt einen Finger zucken

Erich Zulauf hat während der Hypnose das Handgelenk seiner Klientin nicht losgelassen. «Ich erhalte dadurch Infor- mationen darüber, wie offen, nervös oder gelassen jemand ist. Steifheit oder Schwere zeigen auf, wie tief die Trance ist. Ab und zu fordere ich während der Sitzung das Unbewusste auf, sich über ein Zucken der Finger oder des Gesichts bemerkbar zu machen.» Diese Rückmeldung mache unter anderem sichtbar, wie stark der Klient mit seinem Unbewussten in Kontakt sei. «Hat es die Möglichkeit, bis an die Oberfläche durchzudringen und etwas zu bewegen, beispielsweise einen Finger?» Der Hypnotherapeut überprüft damit auch, ob seine Anregungen passend und brauchbar sind, um den gewünschten inneren Prozess anzustossen.

Erich Zulaufs Liste an Symptomen und Krankheiten, die er bereits behandelte, ist lang und heterogen. Sie reicht von Depressionen und Essstörungen über Traumata und Krebs bis hin zu Auftrittsproblemen und Sportleistungsoptimierung. Die Hypnose wirkt aber – wie andere Therapieformen – nicht bei allen Menschen gleich. Entscheidend sei, wie gut sich ein Mensch in Trance versetzen lasse. «Oft sagen die Klienten, dass sie da und doch nicht da sind.» Manche Menschen hören während der ganzen Sitzung die Stimme des Hypnotherapeuten, andere driften ab und erinnern sich am Schluss an nichts.

Über den Heilungserfolg sage dies aber nichts aus. «Ich beurteile vorab je länger, je weniger, ob und wie die Hypnose wirkt», erklärt Erich Zulauf. Er habe oft gedacht, dass sie bei Menschen, die sehr kontrolliert scheinen und kaum Gefühle zeigen, nicht funktioniere – und nach ein paar Sitzungen sei er eines Besseren belehrt worden.

Nach der Manipulation gefragt, vor der viele Menschen Respekt oder gar Angst haben, meint der Hypnotherapeut: «Wir alle manipulieren andere, oft auch negativ. In der Hypnotherapie geschieht die Manipulation auf eine erwünschte Art. Dies verlangt Feingefühl und eine grosse kommunikative und hypnotische Geschicklichkeit.»

Die Kraft des Tigers nutzen

Bereits im Alter von zwanzig Jahren faszinierte Erich Zulauf die Hypnose. Dass Menschen dadurch ihr Verhalten änderten, fand er spannend. Ihm gefiel und gefällt es, mit Menschen kreativ arbeiten zu können und eine Wirkung zu erzielen. Seinen Erfahrungsschatz lässt er seit 23 Jahren in eine selbst entwickelte Hypnoseausbildung einfliessen. Dabei vermittelt er den Teilnehmenden, wie sie aufmerksam mit Klienten umgehen, zwischen den persönlichen Absich- ten und denjenigen des Gegenübers unterscheiden sowie Trance, Kreativität und Humor gezielt einsetzen können. «Die angehenden Hypnotherapeuten sollen verstehen, dass wir einen grossen Spielraum an Möglichkeiten und Kombi- nationen haben.»

Erich Zulauf möchte nicht nur Symptome bearbeiten, son- dern auch den ganzen Menschen in seiner Entwicklung un- terstützen. Hilfe zur Selbsthilfe ist sein Credo. Er beschreibt dies am Beispiel eines Jungen, bester Tennisspieler in seiner Kategorie und schweizweit in den obersten Rängen. Mit ihm trainierte er in der Hypnose, sich als kräftigen, schnellen und wendigen Tiger zu spüren. Bevor der junge Spieler an die Grundlinie tritt, «soll er sich daran erinnern, wer er ist – er ist der Tiger. Er soll gefühlsmässig die Momente heraufbe- schwören, in denen er gut gespielt hat. Er soll an die Stärken und Schwächen seines Gegenübers und an die Tipps seines Trainers denken. Und schliesslich soll er sich mit einem Kraft- satz verbinden wie ‹Ich gehe hin und ziehe das durch›.»

Innere Bilder wie dasjenige des Tigers sind laut Erich Zulauf schneller und umfassender abrufbar, wenn sie in der Hypnose verankert wurden, als durch reines Vorstellungstraining. Die Hypnose erleichtere den Zugang zum eigenen Innenleben oder stelle ihn überhaupt erst her, wie beispiels- weise bei einem verdrängten traumatischen Erlebnis.

Mit Absicht in die Selbsthypnose

Auch Selbsthypnose gibt Erich Zulauf seinen Klienten mit auf den Weg. Er praktiziert sie täglich. Wichtig sei dabei, möglichst wenig zu erwarten und doch eine klare Absicht zu haben. Eine unspezifische Musik kann dabei helfen, in eine entspannte Stimmung und Haltung hineinzugleiten. Definiert der Praktizierende die Dauer der Trance – üblicherweise zwanzig Minuten – vorher bewusst, «taucht» er danach automatisch wieder auf. Auch hier gibt der Hypnotherapeut ein Beispiel: Wenn sich jemand mit dem Bild eines starken Tieres wie dem Tiger wohl fühle, erwecke er diesen vor seinem inneren Auge und entspanne sich damit immer mehr. Danach lasse er eine Szene entstehen, die das Problem bekämpft: Hat beispielsweise jemand Krebs, kann er sich als Analogie zu den Killerzellen des Immunsystems vorstellen, wie ein Delfin die am Rande eines Flusses sitzenden Pilzwucherungen mitsamt den Wurzeln ausreisst. Einen Moment bei diesem Bild zu verweilen, genügt. «Wir dürfen darauf vertrauen, dass das Unbewusste die Regie übernimmt.»

 

Schmerzlindernd und heilungsfördernd

URSPRUNG Hypnose ist ein Heilverfahren, das schon den alten Ägyptern bekannt war. Im hiesigen Kulturkreis berichtete Augustinus im vierten Jahrhundert von einer Schmerzbehand- lung mit Hypnose. Der Wiener Arzt Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse, experimentierte Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts mit Hypnose, verwarf sie aber wieder. Der amerikanische Arzt und Psychiater Milton Erickson brachte die Hypnose ab den 1930er-Jahren erneut ins Rampenlicht und kämpfte für ihre offizielle Anerkennung als Therapieform.

WIRKUNG Die Wirksamkeit der Hypnose ist mittlerweile unter anderem bei Angststörungen, Übergewicht und Tabakabhängigkeit in zahlreichen inter- nationalen Studien und Publikationen nachgewiesen. Die hypnotische Trance lässt sich mittels Hirnströmen von anderen Bewusstseinszuständen wie Imagination, Schlaf oder Entspannung unterscheiden.

EINSATZ In der Schweiz setzen Ärzte, die bei der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) einen Fach- ausweis für medizinische Hypnose erworben haben, diese Methode ein, um bei ihren Patienten Schmerzen zu lindern sowie bei Operationen die psy- chische Belastung zu reduzieren und die Genesung zu fördern. Sie können die Hypnose über die Grundversicherung abrechnen. Zahnärzte verwenden sie als Unterstützung der Betäubung. Hypno- therapeuten mit nicht medizinischem Hintergrund können ihre Sitzungen nur unter gewissen Bedingungen über die private Zusatzversicherung abrechnen. Viele benutzen deshalb zum Beispiel den Umweg über die Psychotherapie oder das autogene Training.

VERTRETUNG In der Schweiz setzen sich nebst der FMH drei Organisationen für die Ausübung der Hypnose ein: die Schweizerische Ärztegesellschaft für Hypnose, die Gesellschaft für klinische Hypnose Schweiz und das Institut Romand d’Hypnose Suisse.

Erich Zulauf Hypnose

 

Dr. Erich Zulauf

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